http://www.amazon.de/Schatten-von-Tet-Vietnam-Mission-Medizinischen/dp/3631610068 Badische Zeitung Fr, 09. September 2011
Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung.
von: Gerhard M. Kirk
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Ruprecht Zwirner beim Anatomieunterricht Foto: Privat
Zwei Jahre lang hat sich der Arzt Simon Reuter mit der Vietnam-Mission der Freiburger Medizinischen Fakultät beschäftigt. In einer spannend zu lesenden Doktorarbeit hat er dieses Kapitel der Freiburger Medizingeschichte festgehalten, das 1968 tragisch endete. Allerdings hat er bei seinen Recherchen auch festgestellt: "Hier in Freiburg war die Mission kein Thema in der Fakultät und ist es bis heute nicht." Der gebürtige Freiburger bekam das Thema vielmehr von Professor Karl-Heinz Leven, Lehrstuhlinhaber des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität Nürnberg-Erlangen und früher Mitarbeiter am gleichnamigen Freiburger Institut (das inzwischen abgeschafft wurde).
Im Nachhinein erweist es sich als Glücksfall, dass Simon Reuter seine eigene Idee für eine Doktorarbeit – "ein Blick in die Geschichte der Folterei" – aufgab. Stattdessen spürte er einer nicht minder aufregenden Geschichte nach. Und das war die Freiburger Vietnam-Mission tatsächlich. Sie war eines der ersten Projekte deutscher Entwicklungshilfe nach 1945 – und das mitten in einem seit 1954 geteilten Land, in dem die Menschen (nach Niederlage und Abzug der Kolonialmacht Frankreich) unter Chaos, Bürgerkrieg und Infektionskrankheiten litten. Und in dem es viel zu wenige Ärzte gab: 600 bis 800 für eine Bevölkerung von 14 Millionen in Südvietnam. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind bis zu seinem fünften Lebensjahr starb, lag Anfang der 1960er Jahre bei 40 Prozent.
Studenten vor der Universität Hué Foto: Privat
Da traf es sich gut, dass eine Gruppe junger Freiburger Universitätsärzte unter Leitung des Pädiatrieprofessors Horst-Günther Krainick sich aufmachte, nahe an der Grenze zu Nordvietnam in der alten Stadt Hué eine Medizinische Fakultät zu gründen und die Freiburger Patenschaft mit Leben zu füllen. Die Laboratorien wurden mit Hilfe der technischen Werkstätten der Fakultät in Freiburg ausgestattet. Feinmechaniker-Meister der Universität stellten die Gerätschaften fürs Physiologische Praktikum her. Medizinisch-technische Assistentinnen fertigten histologisch-anatomische Präparate für die Anatomie an. Am 13. September 1961 schließlich begann das erste Wintersemester an der neuen Fakultät. Mit den Freiburger Ärzten Horst-Günther Krainick (Pädiatrie), Erich Wulff (Physiologie, Ruprecht Zwirner (Anatomie), Kurt Weil (Biochemie). Und mit 46 Studenten und zwei Studentinnen.
Neben dem Aufbau der Fakultät kümmerte sich Horst-Günther Krainick, den seine Frau Elisabeth nach Südvietnam begleitete, auch um den Aufbau von Gesundheitsstationen auf dem Land. Eine Leprastation wurde gebaut. Und da die Freiburger Ärzte in dem Bürgerkrieg unbedingt neutral sein wollten, behandelten sie alle, die zu ihnen kamen, ohne Unterschied, auch Angehörige der nordvietnamesischen Befreiungsbewegung Vietcong. Nach einer ruhigen Anfangszeit änderte sich die Lage für die deutschen Ärzte, inzwischen durch einige neue ergänzt, schlagartig, als es in Hué zu Protesten der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit kam, die blutig niedergeschlagen wurden. Erich Wulff wurde einziger westlicher Zeuge dieses Massakers und versorgte mit zwei Kollegen buddhistische Mönche im Hungerstreik medizinisch. Bis den Deutschen der Zugang verwehrt wurde. Schließlich wurde der Freiburger Arzt sogar beschuldigt, Kommunist und Unruhestifter zu sein, und wurde zusammen mit einer Kollegin und zwei Kollegen im Juni 1963 ausgewiesen.
Der Vietcong erobert Hué, die Deutschen werden entführt
Damit stand das Freiburger Projekt kurz vor dem Scheitern. Und obwohl die Freiburger Fakultät zu den vier Ausgewiesenen stand, wurde es schwer, andere Mitarbeiter für die Vietnam-Mission zu finden. Die dennoch mit neuen Ärzten weiterging. Als aber im Frühjahr 1967 erste Mörsergeschosse in Hué einschlugen, wurde es für die Freiburger immer gefährlicher. Die Deutsche Botschaft in der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon informierte Horst-Günther Krainick, dass das Projekt über das Jahr 1967 hinaus nicht mehr verlängert werde. Dann gab es doch noch einmal eine Verlängerung bis Ende Juni 1968, um die Fakultät geordnet in vietnamesische Hände zu übergeben.
Das Ehepaar Krainick brachte um die Jahreswende 1967/1968 einen Teil seiner Habe auf den Weg nach Deutschland. Da begannen Nordvietnam und der Vietcong am buddhistischen Neujahrsfest vom 29. auf den 30. Januar 1968 ihre Tet-Offensive und eroberten Hué. Vier Wochen später nahmen US-Soldaten die zerstörte Stadt ein, in der 116 000 Menschen obdachlos geworden waren – und in der Anfang März Massengräber mit fast 3000 Leichen entdeckt wurden. Gleich zu Beginn der Tet-Offensive wurde das Freiburger Team mit Horst-Günther und Elisabeth Krainick sowie den Ärzten Alois Alteköster und Raimund Discher entführt, dessen Frau mit ihren drei Kindern kurz vor Weihnachten abgereist war. Ihre Wohnungen waren geplündert worden. Alle Bemühungen (unter anderem des damaligen Caritas-Präsidenten und heutigen Freiburger Ehrenbürgers Georg Hüssler) um die Vermissten blieben erfolglos.
Bis dann am 3. April die Deutsche Botschaft aus Saigon dem Bonner Auswärtigen Amt mitteilte: Die Leichen der vier Deutschen seien in einem gemeinsamen Grab gefunden und identifiziert worden. Als Todesursache wurden Genick- und Kopfschüsse angegeben, mit denen die vom Vietcong Entführten, an den Händen gefesselt, hingerichtet worden waren (eine genauere Untersuchung gab es nie). Am 18. April 1968 wurden das Ehepaar Krainick und Raimund Discher in Freiburg beigesetzt. Mit ihrer Ermordung endete die Vietnam-Mission der Freiburger Medizinischen Fakultät. Dennoch, kommt Simon Reuter zu dem Schluss: "Trotz des traurigen Endes der Mission ist es den Freiburgern gelungen, den Grundstein für eine funktionierende Medizinische Fakultät in Vietnam zu legen und Maßstäbe für humanitäres Engagement zu setzen."
Umso wichtiger erscheint es dem Arzt, diese Episode der Freiburger Medizingeschichte aufzuarbeiten. Schließlich bestehe die Funktion von Fakultätsgeschichte unter anderem in der Bildung von Erinnerungsorten und der Stiftung von Identität. Gerade mit ihrer Vietnam-Mission brauche sich die Fakultät eigentlich nicht zu verstecken. Jedenfalls ist ja der 50. Jahrestag des Beginns dieses Projekts ein Anlass, sich zu erinnern. Denn, schließt Simon Reuter: "Die Mitglieder der Medizinischen Fakultät Freiburg setzten mit dem Aufbau der Medizinischen Fakultät von Hué ein bis heute nachwirkendes Zeichen in Südostasien."
Die Vietnam-Mission
Dezember 1960: Der Freiburger Pädiatrie-Professor Horst-Günther Krainick reist nach Hué.
11. September 1961: Einweihung der Medizinischen Fakultät in Hué.
August 1963: Mitglieder des Freiburger Ärzteteams werden ausgwiesen.
April 1964: Der Arzt Erich Wulff darf wieder einreisen.
Sommer 1967: Die ersten vietnamesischen Ärzte von Hué bestehen ihr Staatsexamen.
5. Februar 1968: Entführung des Freiburger Ärzteteams.
3. April 1968: Die Leichen der vier Deutschen werden bei Hué gefunden.
Die Mitglieder der Mission:
1961: Horst-Günther Krainick, Erich Wulff, Ruprecht Zwirner, Kurt Weil (1961)
1962: Krainick, Wulff, Zwirner, Weil, Frank Schauwecker, Eduard Perings, Raimund Discher, Raimund Kaufmann, Karl-Heinz Hölterscheidt, Horst-Jürgen Boltze, Hannelore Trub, Annette Feldhege
1963: Krainick, Discher, Wulff, Hölterscheidt, Schauwecker, Boltze, Kaufmann, Feldhege
1964/1965: Krainick, Discher, Wulff
1966: Krainick, Discher, Wulff, Wilfried Seipp, Alois Alteköster
1967: Krainick, Discher, Wulff, Alteköster, Seipp, Hannelore Discher (geborene Trub)
1968: Krainick, seine Frau Elisabeth Krainick, Discher, Alteköster