Mittwoch, 17. Juli 2013

Bedeutung und Entwicklung der neuen Medien in Vietnam

Links:
http://www.computerworld.com/s/article/9174481/Google_Malware_targets_Vietnamese_activists
http://www.scmp.com/news/asia/article/1131184/hanoi-admits-army-900-internet-public-opinion-shapers
http://news.asiaone.com/News/Latest%2BNews/Asia/Story/A1Story20100120-193169.html
http://www.article19.org/resources.php/resource/3341/en/vietnam:-internet-decree-or-internet-phobia
http://smbinnovator.com/index.php?articleID=42833&sectionID=25
http://namvietnews.wordpress.com/2012/09/08/vietnamese-journalist-who-exposed-police-corruption-sentenced-to-4-years-in-jail-for-bribery/
http://www.kaleo.org/news/vietnam-employs-propaganda-bloggers/article_002420ee-5ebc-11e2-a887-0019bb30f31a.html
http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-20982985
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2012/121215-Loening-Vietnam.html
http://danlambaovn.blogspot.de/2013/02/world-news-on-nguyen-dac-kien.html#.UeaLTMsayK1
http://www.orf.at/stories/2142496/2142499/

Vietnam-kompakt: Die Anzahl der Internetnutzer steigt in Vietnam in den letzten Jahren stetig an. Nutzen um die Jahrtausendwende nur 0,3% der Vietnamesen das Internet, so waren es 2011 bereits 35%. Im Jahr 2012 blieb dieses Verhältnis nahezu konstant, bzw. folgte dem weltweiten Trend und sank wieder etwas ab. Es gibt fast doppelt so viele männliche Internetnutzer wie weibliche; gut die Hälfte aller Nutzer sind unter 30 Jahre alt. Die Zahl der Internetanschlüsse in Vietnam betrug im Augut 2012 stolze 4,4 Millionen. Noch vor einiger Zeit war der meistgenutzte Zugang zum Internet eines der zahlreichen Internetcafes. Mittlerweile nutzen etwa 90% einen mobilen Zugang oder einen privaten Zugang von zu Hause. Beim Zugang zum Internet mit dem Smartphone wird dennoch ein 
Zuwachs von 400% erwartet. Dies ist nur möglich, wenn die Nutzer mehrere Smartphones benutzen, was bereits teilweise der Fall ist.


Als Informationsquelle löste das Internet die herkömmlichen Zeitungen ab. In den letzten Jahren entdeckten ausserdem viele Vietnamesen eine Leidenschaft fürs Bloggen. Auch Soziale Netzwerke sind sehr beliebt. Nach Informationen des Ministerium für Information und Kommunikation sind 80% der Jugendlichen bei sozialen Netzwerken mit mindestens einem Account registriert.

Die Rolle der vietnamesischen Regierung ist in Sachen Internet eine zwiespältige:
Einerseits versucht sie den IT-Sektor zu fördern. Hier ist das Stichwort "Taking-off strategy" zu nennen: Man hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 in den Standard eines durchschnittlichen Industrielandes zu erreichen. Anders formuliert: Es wird angestrebt, dass bis 2020 zwischen 17% und 20% des BIP vom IT-Sektor erzeugt wird, langfristig sogar bis 23%. Dieses Ziel will man durch mehrere Ansatzpunkte realisieren, wie zum Beispiel:

  • Ausbau und Verbesserung der Kommunikationsnetze
  • Förderung des Zugangs und der Qualität zu Telefonen, Computern und sonstigem Equipment
  • Auf- und Ausbau der IT-Anwendungen in Behörden
  • Entwicklung von Anwendungen, für das tägliche Leben
  • Unterstützung von interantionalen IT-Kooperationen

Erste Erfolge wurden hier bereits erzielt. Die Kosten für die Nutzung von Internet, aber auch Telefonkosten sind sogar im Vergleich mit den meisten Nachbarstaaten sehr gering. Ein 3G-Netz wird seit 2009 aufgebaut und ist seit Langem in urbanen Gegenden weitgehend flächendeckend verfügbar. Ich habe sogar schon Berichte gelesen, in denen Vietnam als ein Paradies für 3G-Nutzer dargestellt wurde.

Auf der anderen Seite ist die vietnamesische Regierung, besonders die kommunistische Partei, bemüht, den Inhalt, vor allem von vietnamesischsprachigen Webseiten, zu kontrollieren. In den Jahren kurz vor 2006, also vor dem WTO-Beitritt, entspannte sich die Situation und die Nutzung und Bereitstellung des Internets wurde zunehmend liberaler. In den letzten Jahren wurde diese Liberalisierung nicht weiter fortgesetzt und die Internetnutzung zunehmend wieder eingeschränkt. Die Organisation Freedom House bewertete 2011 und 2012 die Freiheit des Internets in Vietnam mit "73% unfrei". Im Ranking der Organisation Reporter ohne Grenzen belegt Vietnam seit über zehn Jahren einen der letzten Plätze. Zuletzt: Platz 172 von 179.

Eine Studie kam bezüglich der Zensur zu folgendem Ergebnis:

With state ownership of the mobile networks in Vietnam, little, if anything is known about the blocking and monitoring practices of the country. Most evidence is anecdotal, although some can be corroborated using various in-country sources. The state uses firewall technologies to block access to certain sites. They also listen to conversations and trace calls from those on their blacklist.
Eigene Übersetzung:
"Da die mobilen Internetanbieter Staatsbetriebe sind, ist nur wenig bis gar nichts über die Blockaden und die Überwachung des Landes bekannt. Meist handelt es sich bei den Informationen um Einzelberichte, von denen einige aber von verschiedenen Insidern bestätigt werden. Der Staat benutzt Firewallmethoden um den Zugang zu bestimmten Webseiten zu blockieren. Sie hören auch Gespräche von den Nutzern ab, die auf einer schwarzen Liste aufgeführt sind, und zeichnen diese auf."

Die Umsetzung von Zensur überlässt die Regierung meinen Quellen zufolge den verfügbaren Service Providern, wie etwa VNPT oder das militäreigene Viettel. Fast, aber nicht alle Provider sind Staatsbetriebe. Ein einheitliches Vorgehen bei Zensur findet nicht immer statt, so dass oft nicht konsequent durchgegriffen wird und Sperren leicht zu umgehen sind. Legal ist dieses Umgehen aber nicht. Auch der Versuch, auf gesperrte Seiten zu gelangen, kann bestraft werden. Bezüglich der Sperren sind aber dennoch Unterschiede bei den Providern merkbar.

Eigentlich sollte die Zensur hauptsächlich dazu dienen, Jugedschutz zu etablieren und Pornografie im Internet einzudämmen. Die meisten Eingriffe wirken aber politisch motiviert, vor allem dann, wenn es um das Machtmonopol der KP, Menschenrechte, Demokratie und die Grenzkonflikte mit China geht. Auch religiöse Webseiten, sowie die Seiten von NGOs (beispielsweise die vietnamesische Seite von Human Rights Watch) werden manchmal geblockt. Pornografie hingegen ist weitgehend frei verfügbar.

Neben der Zensur von Webseiten gibt es noch weitere Maßnahmen, die der Überwachung des Internets dienen. So sollen beispielsweise Internetcafes oft dazu gedrängt werden, Programme zu installieren, die den Onlineverkehr der Nutzer dokumentieren. Auch beim Kauf eines Telefons oder Computers in Vietnam kann es auch passieren, dass bereits Überwachungssoftware oder -hardware integriert wurde. Außerdem soll die vietnamesische Regierung auch Cyber-Attacken einsetzen, was sich nicht nur aufs Inland sondern auch aufs Ausland erstreckt. McAfee kam in einer Meldung vom März 2010 zu folgendem Schluß:

We believe that the perpetrators may have political motivations and may have some allegiance to the government of the Socialist Republic of Vietnam.
Eigene Übersetzung:
"Wir glauben, dass die Verantwortlichen politische Motive sowie Gehorsam gegenüber der Regierung der sozialistischen Republik Vietnam haben."
Die ganz Erklärung führe ich unten bei den Quellen auf. Die vietnamesischen Behörden haben den Fall nie aufgeklärt:

Obwohl es im Jahr 2009 es eine offizielle Anweisung gegeben haben soll, Facebook zu blockieren (was weder bestätigt noch dementiert wurde) und diese Seite nicht immer ohne weiteres erreicht werden kann, wächst die Nutzeranzahl von Facebook unter Vietnamesen mit der größten Zuwachsrate weltweit rasant an und auch Staatsbetriebe sind dort vertreten. Auch andere soziale Netzwerke sind in Vietnam etabliert. Besonders populär ist zing.vn. Diese Seite wirbt um Jugendliche mit freiem Download von Musik und Kinofilmen. Da dies gegen Urheberrechte verstösst, haben bereits einige Firmen Werbeverträge gekündigt und ihre Präsenz auf zing.vn beendet. Seit Mai 2010 existiert auch ein staatseigenes Soziales Netzwerk (GoOnline). Hier ist eine Registrierung nur mit dem echtem Namen und der Ausweisnummer möglich, weshalb nur wenige Vietnamesen diese Seite nutzen. Dennoch strebt die Regierung an, dass bis 2015 dort 40 Millionen Vietnamesen beigetreten sind.


Internetaktivisten und Journalisten:
Wie kürzlich bekannt wurde beauftragt die Regierung (nach Angaben von Ho Quang Loi, Leiter der Propagandastelle in Ha noi) allein im Raum Ha Noi etwa 900 Personen, die in Internetforen, auf Blogs, in Chaträumen, etc. die Linie der Partei vertreten und kritischen Kommentaren entgegentreten. Produktiv sind die Beiträge jedoch nicht. Es handelt sich dabei teils um Allgemeinplätze, teils aber auch um Kommentare, die persönliche Beleidigungen, subtile oder offene Drohungen und einen schlechten Ton anschlagen. Auf diese Weise kann die Stimmung kippen und die entsprechende Plattform unattraktiv oder unseriös erscheinen. Ein typisches Argument bei diesen vergifteten Diskussionen ist es, "auf antinationale Sprüche nichts zu geben, da diese von reaktionären Kräften aus dem Ausland gesteuert seien", wie ein vietnamesische Blogger AFP mitteilte.

Da es für Nutzer oft nicht zu erkennen ist, wo die Grenze zur Illegalität liegt und dies auch oft nicht klar definiert ist, ist die Überwachung und Zensur besonders problematisch. Mit verantwortlich hierfür ist die Formulierung von Gesetzen des vietnamesischen Strafrechts. Diese sind oft nur sehr vage. Beispielhaft hierfür ist Artikel 88 (Verbreiten von Propaganda gegen die sozialistische Republik Vietnam), aufgrund dessen die meisten Urteile gegen Internetaktivisten gesprochen werden. Die Ungewissheit, was erlaubt und was nicht erlaubt ist, führt zu einem Anstieg der Selbstzensur, was einen fairen Diskurs von vornherein ausschliesst. Um kritische Kommentare zu vermeiden deaktivieren zudem Blogger häufig die Möglichkeit, Kommentare zuzulassen.

Dazu kommt, dass es nicht leicht ist, überhaupt Themen zu finden, die nicht politisch und somit harmlos sind. Tạ Phong Tần, eine Bloggerin, die letztes Jahr aufgrund von Artikel 88 zu zehn Jahren Haft sowie fünf Jahren Hausarrest verurteilt wurde, beschreibt dies mit ihren eigenen Worten am besten:

The Police tell me I’m not allowed to write about anything connected to the state. But the state controls every aspect of our social and private lives, so whatever I say is bound to be connected to it.
Eigene Übersetzung:
"Die Polizei sagt mir, es sei mir nicht gestattet über irgendetwas zu schreiben, was mit dem Staat zu tun hat. Aber der Staat kontrolliert jeden Aspekt unseres sozialen und privaten Lebens, sodass sich alles, was ich sage notwendierweise auf den Staat bezieht."
(Leider konnte ich den Artikel im Original nicht mehr recherchieren, sodass ich mich hier auf die vermutlich inoffizielle Übersetzung einer meiner Quellen verlassen muss.)

Mit den selben Unsicherheiten haben Journalisten zu kämpfen. Im Jahr 2010 forderte Nguyễn Tấn Dũng, dass Journalisten loyale Kämpfer der Nation sein müssen. Und nicht das berichten sollten, was die Interessen des Landes gefährdet. Ebenso bedenklich wie ausagekräftig ist das Statement

The truth is always the truth, but we must choose the suitable time to tell the truth to ensure the country's interests
Eigene Übersetzung:
"Die Wahrheit ist immer die Wahrheit, aber wir müssen den richtigen Moment wählen, um die Wahrheit zu berichten, damit die Interessen des Landes gewahrt werden."
Hier wird also gefordert, dass Informationen zurückgehalten werden sollen, wenn sie Schaden anrichten könnten. Dies und die Tatsache, dass alle Nachrichtenagenturen, Radiostationen, etc. von staatlichen Agenturen kontrolliert werden, bedeutet: Eine freie Presse existiert in Vietnam nicht. Dass kritische Berichte nicht erwünscht sind, zeigt sich immer wieder. Der "PMU 18 Skandal" ist ein Musterbeispiel für die Verfolgung von Journalisten. Aktueller ist der Fall um den Journalisten Hoàng Khương: Er recherchierte über Bestechung bei der Polizei und bezahlte auch seine Informanten. Dies wertete das Gericht ebenfalls als Bestechung. Er wurde deshalb im September 2012 zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Berufung bestätigte dieses Urteil. Ebenso der Umgang mit Nguyễn Đắc Kiên, der erst kürzlich wegen seiner Kritik an den Verantwortlichen zur Änderung der Verfassung seinen Job verlor, ist ein Zeichen für den Druck, dem die vietnamesischen Journalisten ausgesetzt sind.


Rechtliches:
Artikel 69 der Verfassung Vietnams von 1992 garantiert unter anderem Meinungs- und Pressefreiheit. Dies steht im Einklang mit einigen von Vietnam unterzeichneten internationalen Abkommen, wie etwa Artikel 19 der internationaler Konverntion über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR). Die Praxis und untergeordnete Gesetze zeichnen aber ein anderes Bild. Teils durch andere Gesetze und Vorschriften, teils ohne Legitimation, werden diese Freiheiten untergraben. Kritiker können dadurch kriminalisiert werden. Als Rechtfertigung für Verurteilungen dient dann das Argument, der Verurteilte sei nach den Gesetzen rechtmässig verurteilt worden und nicht aufgrund seiner Meinung. Der Menschenrechtsbeauftragte der BRD besuchte im Dezember 2012 Vietnam. Im Interview mit der Deutschen Welle beantwortete er die Frage, wie die vietnamesische Regierung auf Kritik reagiert, folgendermassen:

Das ist sehr unterschiedlich. Mal wird alles abgestritten, mal wird gesagt, diese Leute hätten gegen Gesetze verstoßen. Es sind die üblichen Ausreden, die ich in allen autoritären Staaten dieser Welt immer wieder zu hören bekomme. Es heißt: "Diese Leute sind nicht im Gefängnis wegen ihrer politischen Ansichten, sondern weil sie gegen Gesetze verstoßen haben."

Meine Gesprächspartner wissen natürlich auch, dass das vorgeschobene Begründungen sind. Das merkt man einfach in diesen Gesprächen. Wichtig dabei ist aber, dass man die Botschaft immer wieder wiederholt. Dann wird am Ende des Tages, hoffe ich, auch etwas ankommen.
Des Weiteren stellte die UN Working Group on Arbitrary Detention erst kürzlich wieder klar, dass diese Praxis nicht den internationalen Vereinbarungen, denen sich Vietnam aber bereits verpflichtet hat, genügt.

Zuständig für das Internet in Vietnam sind das Ministerium für Post und Telekommunikation, das Ministerium für öffentliche Sicherheit und das Ministerium für Kultur, Sport und Tourismus. Seit April 2012 existiert ein Gesetzentwurf, der den Umgang mit den Kommunikationsmedien drastisch verschärfen würde und ebenfalls sehr vage Formulierungen wie etwa "missbrauchen des Zugangs und Nutzung des Internet sowie der Informationen des Internets". Dieser Entwurf würde auch die Zensurmaßnahmen weiter legitimieren und ausweiten und private Daten weitgehend für Behörden zugänglich machen und auf Vorrat zu speichern. Dass dieses Gesetz noch nicht verabschiedet wurde ist vermutlich auf die Tumulte in der Führungsebene der KPV im Sommer/Herbst letzten Jahres zurückzuführen. Nichtsdestotrotz tritt voraussichtlich im Juni eine neue Verordnung in Kraft, die die Bedingungen und Strafen für Verstösse verschärft.

Verschiedene NGOs fordern daher von investierenden Unternehmen sowie von ausländischen Regierungen, diese Missstände immer wieder anzusprechen und zu kritisieren. Investitionen bzw. Hilfen sollen nur gegen Zugeständnisse getätigt werden. Dieses Spiel erinnert an Bismarks Zuckerbrot und Peitsche. Es ist zu hoffen, dass Vietnam bald lernt, dass man sich vor einer freien Gesellschaft nicht fürchten muss. Leider zeichnet sich dieser Erfolg momentan nicht ab.